Ein Planet gibt Rätsel auf
Die Erforschung des sonnennächsten Planeten Merkur ist herausfordernd, denn aufgrund seiner Nähe zur Sonne sind sowohl Beobachtungen von der Erde aus als auch mit Raumsonden äußerst aufwändig. Grundlegende Informationen über Merkurs Größe und Umlaufbahn waren aber schon in den 1960er Jahren durch erdgebundene Beobachtungen bekannt. Es zeigte sich, dass Merkur eine für seine geringe Größe sehr hohe mittlere Dichte aufweist (siehe Abbildung 1), woraus sich schließen lässt, dass Merkur einen besonders großen Eisenkern besitzen muss. Heute weiß man, dass Merkurs Kern etwa 72-90 Prozent seines Radius einnimmt. Zum Vergleich: der Eisenkern von Erde, Mars und Venus nimmt etwa 55 Prozent und jener des Mondes nur etwa 20 Prozent des Radius ein. Aber warum ist das so? Wir werden auf die Frage zurückkommen.
Merkur hat noch mehr Außergewöhnliches zu bieten. Als 1965 Radarmessungen durchgeführt wurden, um die Rotationsdauer des Planeten zu bestimmen, wartete Merkur mit der nächsten Überraschung auf. Es zeigte sich, dass der siderische Merkurtag ungewöhnlich lang ist. Ein voller Tag- und Nachtkreislauf dauert auf Merkur nämlich 58.65 Erdentage, was genau 2/3 seiner Umlaufszeit um die Sonne entspricht. Wenn sich Merkur also dreimal um die eigene Achse dreht, hat er sich zweimal um die Sonne bewegt. Das wird auch als gebundene Rotation oder “Spin-Orbit-Resonanz” bezeichnet. Schon in den 1960er Jahren wurde vermutet, dass diese Konfiguration in Zusammenhang mit der relativ stark elliptischen Bahn des Merkur steht, denn die Exzentrizität könnte dazu geführt haben, dass Merkur häufiger in die Nähe der Resonanz kam und schließlich in ihr gefangen wurde. Dies konnte aber erst knapp 40 Jahre später, nämlich 2004, mit Hilfe von numerischen Simulationen gezeigt werden, und zwar unter der Annahme dass die Merkurbahn in seiner früheren Entstehungsphase eine noch größere Exzentrizität aufwies (e>0.325) als dies heute der Fall ist (e=0.206).
Einen Blick auf die Oberfläche des Merkur konnten Wissenschaftler erstmals in den Jahren 1974 und 1975 werfen, als die US-amerikanische Raumsonde “Mariner 10” während drei Vorbeiflügen Nahaufnahmen von etwa 45 Prozent der Merkuroberfläche machte. Es zeigte sich, dass Merkur rein oberflächlich betrachtet eine starke Ähnlichkeit mit unserem Mond aufweist. Auch er ist mit Kratern, Strahlensystemen, Rillen und Berglandschaften übersät. Da Merkur eine größere Schwerebeschleunigung als der Mond besitzt, ist die Materie aus den Einschlagkratern allerdings weniger weit als auf dem Mond ausgeworfen worden. Ebenfalls finden sich auf der Merkuroberfläche ausgedehnte dunkle Bereiche, die durch gewaltige Impakte entstanden sind. Diese werden als Planitiae (=Ebenen) bezeichnet. Die größte Merkurebene hat einen Durchmesser von ca. 1500 km und wird als Caloris Planitia (lat.: Glutebene; siehe Abbildung 2) bezeichnet. Dieser Name deutet schon auf die enormen Hitzegrade von über 400°C hin, die dann auf dem Merkur erreicht werden, wenn er in Sonnennähe (grch.: Perihel) steht. Bei Sonnenferne (grch.: Aphel) beträgt die Temperatur des Merkurs an den heißesten Stellen immerhin noch 285°C. Auf der Nachtseite hingegen herrscht eine eisige Kälte von bis zu -180°C. Diese starken Temperaturunterschiede hängen auch mit der zuvor beschriebenen Tatsache zusammen, dass die (siderische) Rotationsdauer des Merkur 58.65 Erdentage beträgt.
Die vermutlich größte Entdeckung der Raumsonde “Mariner 10” in Bezug auf Merkur war der Nachweis eines schwachen Magnetfeldes. Damit ist Merkur mit Ausnahme der Erde der einzige innere Planet, der ein Magnetfeld besitzt. Überraschend ist das deshalb, weil dies einen geschmolzenen, flüssigen Kern voraussetzt. Da seit der Entstehung unseres Sonnensystems und damit des Planeten Merkur bereits etwa 4.5 Milliarden Jahre vergangen sind, sollte ein Planet der Größe des Merkur aber heute bereits völlig ausgekühlt, sprich erstarrt sein. Die Frage lautete also, ob Merkurs Kern tatsächlich flüssig ist. Dieses Rätsel sollte erst mehr als 30 Jahre später im Jahr 2007 gelöst werden. Mit Hilfe wiederholter und hochpräziser Radarmessungen – durchgeführt mit mehreren Radioantennen – konnte festgestellt werden, dass es während des Umlaufs des Planeten um die Sonne zu kleinen Änderungen in der Eigenrotation kommt. Und genau dieses Verhalten setzt die Existenz eines flüssigen Kerns voraus. Das Rätsel war also gelöst, Merkurs Kern ist tatsächlich flüssig, zumindest teilweise. Aber es stand nun die Frage im Raum warum der Kern des Merkur über Milliarden von Jahren immer noch nicht erstarrt ist. Erklärt wird dies heute damit, dass das Kernmaterial mit leichteren Elementen wie etwa Schwefel durchsetzt ist. Dies führt zu einer geringeren Schmelztemperatur und verlängert die Zeit bis zur Verfestigung des Kerns. Andererseits wirft dieses Szenario weitere Fragen über die Entstehung Merkurs auf. Warum weicht seine chemische Zusammensetzung so stark von jener der anderen inneren Planeten ab? Und nach wie vor suchte man nach einer Erklärung für den im Vergleich zu den anderen inneren Planeten außergewöhnlich großen Kern Merkurs.
Um dieser und anderer Fragen nachzugehen, wurde im Jahr 2004, etwa drei Jahrzehnte nach “Mariner 10” und dessen Erkundungen, die US-amerikanische Raumsonde “Messenger” (MErcury Surface, Space ENvironment, GEochemistry, and Ranging) auf den Weg zum innersten Planeten Merkur geschickt. Nach Vorbeiflügen an Venus, absolvierte “Messenger” in den Jahren 2008 und 2009 insgesamt drei Swing-By Manöver an Merkur, bevor die Raumsonde – als erster Satellit überhaupt – im Jahr 2011 in dessen Orbit einschwenkte, wo sie wie geplant bis zum 30. April 2015 verblieb, um wissenschaftliche Messungen durchzuführen. Dann nämlich ging ihr der Treibstoff aus und “Messenger” stürzte auf die Oberfläche des Planeten. Im Rahmen der Mission konnte erstmals die gesamte Merkuroberfläche (siehe Abbildung 3) untersucht werden, nachdem “Mariner 10” nur etwa 45 Prozent abdeckte.
Das vielleicht bedeutendste Resultat der “Messenger” Mission basiert auf Messungen der Häufigkeit bestimmter chemischer Elemente, darunter Elemente die sich bereits bei moderaten Temperaturen verflüchtigen, beispielsweise Kalium (=Potassium). Daraus lassen sich Rückschlüsse auf Merkurs Vergangenheit ziehen. Kam es beispielsweise in der Geschichte des Planeten irgendwann zu Ereignissen, die große Hitze produzieren – etwa gewaltige Zusammenstöße – so würden diese leicht flüchtigen Elemente wie Kalium heute im Verhältnis zu weniger flüchtigen Elementen wie etwa Thorium nur noch in geringem Ausmaß vorhanden sein. Das ist beispielsweise beim Erdmond der Fall, dessen Entstehung auf eine gewaltige Kollision zurückgeführt wird. Eigentlich ging man bei Merkur von einem ähnlichen Szenario aus, da die relativ hohe Dichte und der relativ große Kern für ein solches energetisches Szenario sprachen. Man erwartete also, dass die Häufigkeit von Kalium in Relation zu Thorium auf Merkur gering sei. Wie sich aber herausstellte, ist dies nicht der Fall (siehe Abbildung 4). Merkur konnte also abermals überraschen. Die Ergebnisse sprachen eine eindeutige Sprache und so konnten viele der damals in Diskussion befindlichen Theorien zur Entstehung des Merkur mit Hilfe “Messengers” neu bewertet und ausgeschlossen werden. Heute wird daher ein Entstehungsmodell favorisiert, indem Merkur aus der Verschmelzung mehrerer, chemisch reduzierter Meteoriten hervorging. In einem solchen Modell lassen sich nämlich die hohe Dichte des Planeten sowie die Größe seines (flüssigen) Kerns und die chemische Zusammensetzung in physikalischen Einklang bringen.
Darüber hinaus brachte “Messenger” noch viele weitere Erkenntnisse. Beispielsweise konnte die Dicke der Merkur-Kruste relativ genau bestimmt werden. Sie beträgt laut einer neuen Studie 26±11 km.
Außerdem deuten Ergebnisse darauf hin, dass es in tiefgelegen Kratern an den Polen des Merkur Wassereis geben könnte (siehe Abbildung 5). Diese Vermutung wurde zwar schon 1991 geäußert, als man mittels Radarmessungen auf Regionen stieß, deren Reflexionsverhalten jenem von Wassereis entspricht, doch man konnte nicht erklären wie Wassereis auf Merkurs heißer Oberfläche existieren kann. Vor allem, da unter dem extrem geringen atmosphärischen Druck auf Merkurs Oberfläche (seine Atmosphäre ist extrem dünn), Wasser bereits bei Temperaturen von mehr als -170°C verdampft. Mit Hilfer der neuen Beobachtungen “Messengers” konnte man das Rätsel nun lösen. Es zeigte sich, dass jene Gebiete mit erhötem Refelxionsgrad mit tiefen Kratern in Polnähe zusammenfallen. Da die Sonne an den Polen nur wenige Grad über den Horizont steigt, herrscht dort zum Teil ewige Finsternis. Die nunmehr gültige Vermutung ist, dass die Temperatur in diesen Kratern -170°C niemals übersteigt und sich dadurch dort befindliches Wassereis über Milliarden von Jahren halten konnte.
Einen direkten Nachweise für die Existenz von Wassereis auf Merkur gibt es allerdings bisher nicht. Dies und andere Fragen soll “BepiColombo” klären, ein europäischer Satellit unter Federführung der Europäischen Weltraumorganisation (European Space Agency; ESA). “BepiColombo”, benannt nach dem 1984 verstorbenen Mathematiker und Merkurforscher Giuseppe Colombo, soll noch 2018 starten, um dann ab 2025 Merkur ein Jahr lang zu umkreisen. Es bleibt also spannend rund um Planet Merkur!
Merkur beobachten
Merkur hat die sonnennächste Bahn. Er kann deshalb von uns nur um den Zeitpunkt seiner größten östlichen oder westlichen Elongation gesehen werden. Merkur zeigt wie Venus den Wechsel von Lichtphasen. Diese sind allerdings nur mit einem Fernrohr oder Feldstecher zu erkennen.
Eigenschaften des Planeten Merkur
Merkur | Erde | Ratio Merkur/Erde |
|
---|---|---|---|
Rotationsperiode siderisch in Tagen | 58.65 | 1 | 58.65 |
Äquator-Radius in km | 2440 | 6378 | 0.383 |
Pol-Radius in km | 2440 | 6356 | 0.384 |
Masse in 1024 kg | 0.3302 | 5.9736 | 0.0553 |
Volumen in 1010 km3 | 6.085 | 108.321 | 0.0562 |
durchschn. Dichte in kg/m3 | 5427 | 5520 | 0.983 |
Gravitation (Oberfläche) in m/s2 | 3.70 | 9.78 | 0.378 |
Eigenschaften der Umlaufbahn des Planeten Merkur
Merkur | Erde | Ratio Merkur/Erde |
|
---|---|---|---|
durchschn. Entf. von Sonne in 106 km |
57.9 | 149.6 | 0.387 |
siderische Umlaufszeit in Tagen |
87.969 | 365.256 | 0.241 |
tropische Umlaufszeit in Tagen |
87.968 | 365.242 | 0.241 |
Perihelabstand in 106 km |
46.0 | 147.1 | 0.313 |
Aphelabstand in 106 km | 69.8 | 152.1 | 0.459 |
durchschn. Umlaufs- geschw. in km/s |
47.87 | 29.79 | 1.607 |
Bahnneigung in Grad | 7.00 | 0.00 | – |
Exzentrizität | 0.2056 | 0.0167 | 12.311 |
- Johnson, C. L. & S. A. Hauck, II (2016): “A whole new Mercury: MESSENGER reveals a dynamic planet at the last frontier of the inner solar system”, J. Geophys. Res. Planets, Vol. 121, p. 2349-2362
- Alexandre C. M. Correia & Jacques Laskar (2004): “Mercury’s capture into the 3/2 spin-orbit resonance as a result of its chaotic dynamics”, Nature, Vol. 429, p. 848-850
- Benoît Noyelles & Julien Frouard & Valeri Makarov & Michael Efroimsky (2014): “Spin-orbit evolution of Mercury revisited”, Icarus, Vol. 241, p. 26-44
- J. L. Margot & S. J. Peale & R. F. Jurgens & M. A. Slade & I. V. Holin (2007): “Large Longitude Libration of Mercury Reveals a Molten Core”, Science, Vol. 316, Issue 5825, p. 710-714
- F. Sohl & G. Schubert (2007): “Interior Structure, Composition and Mineralogy of the Terrestrial Planets”, in book: Planets and Moon, Series: Treatise on Geophysics, Vol. 10, Editor: T. Spohn, Editor-in-Chief: Gerald Schubert, 656 pages
- Peplowski et al. (2012): “Variations in the abundances of potassium and thorium on the surface of Mercury: Results from the MESSENGER Gamma-Ray Spectrometer”, J. Geophys. Res., Vol. 117, E00L04